WIPO Arbitration and Mediation Center
EXPERTENENTSCHEID
Fiat Group Automobiles Switzerland S.A. & Fiat S.P.A. v. Claudio Mattioli
Verfahren Nr. DCH2007-0020
1. Die Parteien
Die Gesuchstellerinnen sind einerseits Fiat Group Automobiles Switzerland S.A., Schlieren, Schweiz (nachstehend „erste Gesuchstellerin” oder „Gesuchstellerin 1”), andrerseits Fiat S.P.A., Turin, Italien (nachstehend „zweite Gesuchstellerin” oder „Gesuchstellerin 2”), beide vertreten durch Bär & Karrer, Zürich, Schweiz.
Der Gesuchsgegner ist Herr Claudio Mattioli, Gunten, Schweiz, vertreten durch Meyer Müller Eckert Partners, Zürich, Schweiz.
2. Streitige Domain-Name
Gegenstand des Verfahrens ist der Domain-Name <fiat500.ch> (nachfolgend der „Domain-Name”). Die Domainvergabestelle ist SWITCH, Zürich, Schweiz.
3. Verfahrensablauf
Das Gesuch ging beim WIPO Arbitration and Mediation Center am 11. Dezember 2007 ein. Das Gesuch stützt sich auf das Verfahrensreglement für Streitbeilegungsverfahren für “.ch” und “.li” Domainnamen (“Verfahrensreglement”), welches am 1. März 2004 in Kraft getreten ist. Am 14. Dezember 2007 bestätigte die Domainvergabestelle SWITCH, dass der Gesuchsgegner Inhaber und administrative Kontaktperson des Domain-Namens ist. Das Center stellte fest, dass das Gesuch den formellen Anforderungen des Verfahrensreglements entspricht.
Am 18. Dezember 2007 hat das Center das Gesuch zugestellt und das Streitbeilegungsverfahren eingeleitet. Die vorgesehene Frist für die Einreichung einer Gesuchserwiderung war der 7. Januar 2008. Aufgrund einer Komplikation in der Emailübertragung an den Rechtsverteidiger des Gesuchsgegners hat am 10. Januar 2008 das Center die Gesuchserwiderungsfrist bis zum 18. Januar 2008 verlängert. Die Gesuchserwiderung wurde rechtzeitig am 16. Januar 2008 innerhalb der so erstreckten Frist eingereicht. Diesen und anderen Anforderungen des Verfahrensreglements wurde Genüge getan. Der Gesuchsgegner hat auf die Teilnahme an einer Schlichtungsverhandlung verzichtet.
Am 1. Februar 2008 hat das Center Prof. Dr. François Dessemontet als Experten bestellt. Der Experte stellt fest, dass er ordnungsgemäss bestellt wurde und hat in Übereinstimmung mit Paragraph 4 des Verfahrensreglements seine Annahme und seine Unabhängigkeit erklärt.
4. Sachverhalt
Das populäre Automodell Fiat Cinquecento wurde durch die zweite Gesuchstellerin von 1957 bis 1975 hergestellt. Seit 1956 ist sie Inhaberin der Wortmarke FIAT in der Schweiz. Die internationale Marke FIAT Cinquecento ist zudem seit 1992 eingetragen. Die internationale Marke FIAT 500 wurde erst 2006 eingetragen, als die zweite Gesuchstellerin das Relaunch dieser Marke für ein allerdings ziemlich stark erneuertes Kraftfahrzeug unternommen hat. Die erstgenannte Gesuchstellerin hat Nutzungsrechte an diesen Marken.
Seinerseits hat der durch Oldtimers begeisterte Gesuchsgegner den streitigen Domain-Namen schon 1997 eingetragen. Auf seiner Webpage offeriert er mit der Ausnahme von einem Buch und ein paar Modellspielzeugen keine kommerziellen Angebote. Er betreibt hauptsächlich ein Forum für Fans des ursprünglichen Fiat Cinquecento.
5. Parteivorbringen
A. Gesuchstellerinnen
Die Gesuchstellerinnen machten die folgenden Ausführungen:
Der kennzeichnungskräftige Teil des streitgegenständlichen Domain-Namens FIAT ist identisch mit der Wortmarke FIAT. Der Domain-Name als Ganzes ist identisch mit der Marke FIAT 500 und bedeutungsidentisch mit der Marke FIAT CINQUECENTO. Interessierte Kunden erwarten unter dem Domain-Namen <fiat500.ch> primär das Angebot der Gesuchstellerinnen zu finden und nicht das (limitierte) Angebot des Gesuchsgegners. Rechtlich gesehen gewährt die schweizerische Rechtsprechung Schutz gegen die unbefugte Verwendung eines markenrechtlich geschützten Zeichens als Domain-Name, wenn diese Verwendung eine Verwechslungsgefahr schafft, indem die entsprechende Website dem Falschen zugerechnet werden kann (Bundesgerichtsentscheide [nachstehend BGE] Urteil 4C.141/2002, abrufbar unter bger.ch). Ausserdem hätte der Gesuchsgegner der Übertragung des Domain-Namens nur zugestimmt wenn ihm die Gesuchstellerin einen neuen Fiat Cinquecento schenken würde.
B. Gesuchsgegner
Der Gesuchsgegner machte die folgenden Ausführungen:
Zuerst bemerkt der Gesuchsgegner, dass er weder „cybersquatting” im engeren Sinne noch „warehousing” betreibt. Seine Benutzung stellt keine Verletzung der Marke FIAT dar, weil sich die Bezeichnung „Fiat500” nur auf das berühmte Fahrzeugsmodell FIAT 500, das von 1957 bis 1975 hergestellt worden ist, beziehen würde. Fanclubs auf der ganzen Welt bedienten sich des Begriffs, jedenfalls bis zu 2006. Der Ausschliesslichkeitsschutz gemäss Art. 13 Abs. 1 des Schweizerischen Markenschutzgesetzes [nachfolgend MSchG] greift gegenüber den älteren Benützungsrechten des Gesuchsgegner nicht ein (Art. 14 Abs. 1 MSchG).
Ausserdem betreibt der Gesuchsgegner seine Webpage unter den streitgegenständlichen Domain-Namen seit 1997, und die Marke FIAT 500 wurde erst 2006 eingetragen. Die Marke FIAT CINQUECENTO darf nicht dem Domain-Namen <fiat500.ch> entgegenstellt werden, weil in der Schweiz, wo die Website des Gesuchsgegners betrieben wird, nur kleine Teile der Bevölkerung italienisch sprechen. Das neue Kraftfahrzeug Fiat 500 ist nicht identisch mit dem alten Fiat Cinquecento, so dass sich die Gesuchstellerinnen nicht auf eine ältere Marke FIAT CINQUECENTO berufen dürfen.
Endlich besteht keine Verwechslungsgefahr, weil der Gesuchsgegner auf seiner Webpage kaum kommerzielle Angebote offeriert und die Gesuchsstellerinnen nur echte Fahrzeuge herstellen, nicht zudem Spielfahrzeuge.
Der Gesuchsgegner gibt überdies an, dass das Angebot den Domain-Namen gegen einen neuen Fiat 500 zu übertragen nicht vom Gesuchsgegner stammt, sondern ein Vermittlungsvorschlag dessen rechtlichen Vertreters gewesen sei.
6. Entscheidungsgründe
Gemäss Paragraph 24(c) des Verfahrensreglements gibt der Experte dem Gesuch statt, wenn die Registrierung oder Verwendung des Domain-Namens eine klare Verletzung eines Kennzeichenrechts darstellt, das den Gesuchstellerinnen nach dem Recht der Schweiz zusteht.
Gemäss Paragraph 24(d) des Verfahrensreglements liegt eine klare Verletzung insbesondere dann vor, wenn (kumulativ) folgende Elemente nachgewiesen werden:
(i) sowohl der Bestand als auch die Verletzung des geltend gemachten Kennzeichenrechts sich klar aus dem Gesetzeswortlaut oder aus einer anerkannten Auslegung des Gesetzes und den vorgetragenen Tatsachen ergeben und durch die eingereichten Beweismittel nachgewiesen sind; und
(ii) der Gesuchsgegner keine relevanten Verteidigungsgründe schlüssig vorgetragen und bewiesen hat; und
(iii) die Rechtsverletzung, je nach dem im Gesuch erhobenen Rechtsbegehren, die Übertragung oder Löschung des Domain-Namens rechtfertigt.
Diese Voraussetzungen werden nachstehend geprüft:
(i) Verletzung eines Kennzeichenrechts
Zweifelsohne ist die Gesuchstellerin 2 Inhaberin von mehreren internationalen Wortmarken mit Schutz für die Schweiz. Relevant für den Streit sind die Marken FIAT, FIAT CINQUECENTO und FIAT 500. Diese Marken sind gültig und die Gesuchstellerinnen dürfen sich auf diese Rechte berufen. Das ist jedenfalls so für die zweite Gesuchstellerin. Die Rechte, die sich auf alle drei Marken beziehen, würden an sich durch die unbefugte Verwendung des streitgegenständlichen Domain-Namens verletzt.
Den gegenteiligen Argumenten des Gesuchsgegners kann der Experte nicht folgen. Zuerst sind alle drei FIAT Marken durch den Domain-Namen <fiat500.ch> verletzt. Es ist anzunehmen, dass FIAT eine weltberühmte Marke im Sinne von Art. 15 MSchG darstellt. In diesem Sinn wird sie nicht nur für Kraftfahrzeuge geschützt, sondern auch gegen eine etwaige Benutzung, die die Unterscheidungskraft der Marke gefährden würde oder deren Ruf ausnützen oder beeinträchtigen würde (s. Art. 15 Abs. 1 MSchG). Die Ausnahme vom Art. 15 Abs. 2 MSchG betreffend älterer Rechte ist offenbar nicht anwendbar hier. Eine Benutzung als Domain-Name birgt in sich eine offensichtliche Gefahr der Markenverwässerung. Klarerweise dürfen sich die Gesuchstellerinnen auch auf die Rechte, die aus der Marke „FIAT CINQUECENTO” stammen, in der Schweiz berufen. Es genügt nämlich, dass die Verletzung in einem Landesteil als erwiesen zu gelten hat, um den markenrechtlichen Schutz in der ganzen Schweiz zu gewähren. Dass die Gesuchstellerinnen ein genügendes Interesse zur Erhaltung ihrer Markenrechte besitzen, darf offensichtlich angenommen werden, wenn man bedenkt, dass heutzutage Marketing für Spielzeuge, Schlüsselbunde usw. von verschiedenen Autoherstellern betrieben wird.
(ii) Verteidigungsgründe
Sinngemäss argumentiert der Gesuchsgegner, dass Verteidigungsgründe zu seinen Gunsten aus dem Informationsbedürfnis des Publikums hervorgehen. Die Rechtsverteidigungsschrift hebt die Rolle der Webpage des Gesuchsgegners als „aktive und bekannte Informationsplattform” hervor (s. S. 8).
An und für sich gibt das Markenrecht keine Monopolstellung über die Informationskanäle und –plattformen. Das Markenrecht verleiht seinem Inhaber ein ausschliessliches Recht, die Marke zur Kennzeichnung der Waren oder Dienstleistungen, für die sie beansprucht wird (einschliesslich weiterer Produkte und Dienstleitungen in dem Fall weltberühmter Marken) zu gebrauchen (Art. 13 Abs. 1 MSchG). Das Markenrecht darf deswegen nicht ins Feld gegen die Benutzung der Marke als Informationsmittel für die Tätigkeit des Gesuchsgegners gezogen werden, wie das Bundesgericht zum Beispiel in Fällen „WIR” (sic ! 2000 611 ff; BGE 126 III 322, Erw. 3 a S. 324) und „AUDI” (BGE 128 III 146 Erw. 2 b S. 149-150) festgestellt hat. Nur darf kein falscher Eindruck beim Publikum erweckt werden, was der Fall sein könnte, z. B. wenn der Domain-Name in einer Weise genutzt wird dass er eine besondere Beziehung zwischen dessen Inhaber und dem Markeninhaber suggerieren soll. Im vorliegenden Fall ist es aber nicht bewiesen, dass sich der Gesuchsgegner je als Agent oder ermächtigter Händler vom FIAT Konzern ausgegeben hat oder dass die Webpage einen solchen Eindruck erwecken könnte.
(iii) Keine Rechtfertigung zur Übertragung des Domain-Namens
Selbst wenn man Zweifel hegen könnte, ob der Gesuchsgegner nicht eine unerlaubte Profilierung zu Ungunsten der Gesuchstellerinnen unternommen hat, ist der Experte der Ansicht, dass in den besonderen Umständen des vorliegenden Falles die Übertragung des Domain-Namens nicht gerechtfertigt erscheint. Die Gesuchstellerinnen haben zehn Jahre lang gewartet, bevor sie sich auf die aus den Marken FIAT und FIAT CINQUECENTO fliessenden Rechte gegen den Gesuchsgegner vor den ordentlichen Gerichten oder in dem „.ch” Streitbeilegungsverfahren berufen haben. Ihre Ansprüche sind deshalb verwirkt, was der Experte von sich aus feststellen darf. Übrigens hat sich der Gesuchsgegner sinngemäss auf Rechtsmissbrauch berufen, indem er als „stossend” (s. S. 9 a. A.) beschreibt, dass er „seine über 10 Jahre hinweg geschaffene Bekanntheit unter Freunden und Sammlern von alten FIATs 500 einzig deshalb verlieren würde, weil die Gesuchsstellerinnen ihren ehemals aufgegeben Modellnamen plötzlich wieder neu als Marke verwenden wollen” (S. 9 a.E.).
Es erübrigt sich, über „reverse domain name hijacking” (S. 8 der Gesuchserwiderung) Stellung zu nehmen, zumal der Gesuchsgegner kein diesbezügliches Rechtsbegehren gestellt hat. Vorwürfe der Gesuchsstellerinnen in Verbindung mit dem Angebot des Rechtsverteidigers des Gesuchsgegners (und anscheinend nicht des Mandanten selbst), einer Übertragung des Domain-Namens zuzustimmen falls seinem Mandanten ein Fiat 500 geschenkt würde, entkräften im übrigen die Beweggründe des Expertenentscheides nicht.
7. Entscheidung
Gemäss Paragraph 24 des Verfahrensreglements weist der Experte die von den Gesuchsstellerinnen beantragte Übertragung des Domain-Namens <fiat500.ch> ab.
Prof. Dr. François Dessemontet
Experte
Datum: 15. Februar 2008