WIPO Arbitration and Mediation Zentrum

EXPERTENENTSCHEID

Migros-Genossenschafts-Bund v. Helmut Grott

Verfahren Nr. DCH2010-0021

1. Die Parteien

Die Gesuchstellerin ist Migros-Genossenschafts-Bund, Zürich, Schweiz, vertreten durch Dr. Michael Widmer, Baker & McKenzie, Zürich, Schweiz.

Der Gesuchsgegner ist Helmut Grott, Brühl, Deutschland.

2. Streitiger Domain-Name

Gegenstand des Verfahrens ist der Domain-Name <migrostravel.ch> (nachfolgend „Domain-Name”).

Die Domainvergabestelle ist SWITCH, Zürich, Schweiz.

3. Verfahrensablauf

Das Gesuch ging beim WIPO Schieds- und Mediationszentrum (das „Zentrum”) am 16. Juli 2010 per Email und am 20. Juli 2010 in körperlicher Form ein. Es stützt sich auf das Verfahrensreglement von SWITCH für Streitbeilegungsverfahren für “.ch” und “.li” Domain-Namen (“Verfahrensreglement”), das am 1. März 2004 in Kraft getreten ist.

Am 19. Juli 2010 bestätigte die Domainvergabestelle SWITCH, dass der Gesuchsgegner Inhaber und administrative Kontaktperson des Domain-Namens sei. Das Zentrum stellte sodann fest, dass das Gesuch den formellen Anforderungen des Verfahrensreglements entspreche. Am 30. Juli 2010 wurde das Gesuch dem Gesuchsgegner ordnungsgemäss zugestellt und das Streitbeilegungsverfahren eingeleitet. Die Frist zur Einreichung einer Gesuchserwiderung lief am 19. August 2010 ab.

Das Zentrum teilte mit Schreiben vom 20. August 2010 mit, der Gesuchsgegner habe weder eine Gesuchserwiderung eingereicht, noch auf andere Weise gegenüber dem Zentrum seine Bereitschaft zur Teilnahme an einer Schlichtungsverhandlung zum Ausdruck gebracht. Die Gesuchstellerin wurde deshalb vom Zentrum auf die Möglichkeit hingewiesen, die Fortsetzung des Verfahrens zu verlangen.

Noch am gleichen Tag wurde das Verfahren in Übereinstimmung mit Paragraph 19 des Verfahrensreglements fortgesetzt und das Zentrum bestellte am 1. September 2010 Herrn Dr. Bernhard F. Meyer als Experten.

Der Experte stellt fest, dass er ordnungsgemäss bestellt worden ist und er hat in Übereinstimmung mit Paragraph 4 des Verfahrensreglements seine Unabhängigkeit erklärt.

4. Sachverhalt

Die Gesuchstellerin ist ein grosses Detailhandelsunternehmen in der Schweiz. Sie wurde 1925 gegründet und 1941 in ihrer heutigen Form als Genossenschaft ins Handelsregister eingetragen. Lebensmittelläden, eigene Restaurants, Tankstellen, Sprachschulen, Buchhandlungen, eine Bank und Reiseagenturen gehören zum Waren- und Dienstleistungsangebot des Migros-Genossenschaft-Bundes. Die Gesuchstellerin ist deshalb überall in der Schweiz und in den angrenzenden Ländern bekannt.

Nach Darstellung der Gesuchstellerin werden ihre Reisedienstleistungen unter diversen Domain-Namen, wie <migrosferien.ch>, <migros-ferien.ch> oder <m-travel.ch>, sowie unter den folgenden registrierten (schweizerischen und europäischen) Marken angeboten:

- MIGROS, Nr. P-415060 (CH), registriert am 27. September 1994, für Dienstleistungen der Klasse 35-42 (insb. für Veranstaltung und Vermittlung von Reisen; Vermittlung von Verkehrsleistungen; Beförderung von Personen und Gütern mit Kraftfahrzeugen, Schienenbahnen, Schiffen und Flugzeugen);

- MTRAVEL (fig.), Nr. P-416095 (CH), registriert am 25. Oktober 1995, für Waren und Dienstleistungen der Klassen 16, 36, 39, 41 und 42 (insb. für Beförderung von Personen auf dem Lande, in der Luft oder auf dem Wasser; Veranstaltung und Vermittlung von Ausflugsfahrten und Reisen einschliesslich Clubreisen; Veranstaltung von Stadt-, Museums- und Betriebsbesichtigungen; Reisebegleitung; Betrieb von Reisebüros einschliesslich für Dritte);

- MIGROS, Nr. 000744912 (EU), registriert am 5. Februar 1998, für Waren und Dienstleistungen der Klassen 1, 2, 3, 4, 6, 7, 8, 9, 11, 12, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41 und 42 (insb. für Veranstaltung und Vermittlung von Reisen; Vermittlung von Verkehrsleistungen; Beförderung von Personen und Gütern mit Kraftfahrzeugen, Schienenbahnen, Schiffen und Flugzeugen; Be- und Entladen von Schiffen; Betrieb von Reisebüros).

Der Gesuchsgegner ist seit dem 25. März 2009 Inhaber des strittigen Domain-Namens <migrostravel.ch>.

5. Parteivorbringen

A. Gesuchstellerin

Die Gesuchstellerin bringt vor, das Verhalten des Gesuchsgegners verletze ihre Markenrechte (insb. Art. 13 und 15 Markenschutzgesetz - „MSchG“). Die registrierten Marken MIGROS und MTRAVEL seien in der Schweiz und in Liechtenstein berühmt oder zumindest sehr bekannte Marken.

Der streitgegenständliche Domain-Namen sei identisch oder verwechselbar ähnlich mit den Marken der Gesuchstellerin. Er beinhalte die berühmte Marke MIGROS in ihrer Gesamtheit. Ausserdem handle es sich beim Buchstaben „M“ in der Marke MTRAVEL um eine geläufige und sehr bekannte Abkürzung für MIGROS, welche die Gesuchstellerin sogar als sog. „stand-alone“ Marke registrieren liess. Dem Domain-Namen komme also exakt dieselbe Bedeutung zu wie der Marke MTRAVEL.

Die Gesuchstellerin bringt weiter vor, die unter dem streitigen Domain-Namen angebotenen Dienstleistungen des Gesuchgegners seien ähnlich oder gar identisch mit den Dienstleistungen der Gesuchstellerin under den geschützten Marken.

Schliesslich führt die Gesuchstellerin aus, die durch den Gesuchsgegner geschaffene Verwechslungsgefahr verletze auch das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (insb. Art. 3 lit. d UWG). Der Gebrauch der Marke MIGROS im Domain-Namen würde den Ruf der Marke der Gesuchstellerin ausnützen. Obwohl es für den Schutz der Rechte der Gesuchstellerin auf tatsächliche Verwechslungen nicht ankomme, seien der Gesuchstellerin bereits mehrere Beschwerden von Kunden zugegangen, die bei der Buchung von Reisedienstleistungen unter dem streitgegenständlichen Domain-Namen fälschlicherweise davon ausgegangen seien, das Angebot stamme von der Gesuchstellerin.

B. Gesuchsgegner

Der Gesuchsgegner hat sich trotz korrekter Zustellung nicht zum Gesuch geäussert. Aus diesem Grund basiert der Experte seine Entscheidfindung auf den von der Gesuchstellerin vorgebrachten Fakten und dem Erscheinungsbild der umstrittenen Website im Internet. Dabei geht der Experte davon aus, dass sich der Gesuchsgegner den Begehren der Gesuchstellerin widersetzt.

6. Entscheidungsgründe

Gemäss Paragraph 24(c) des Verfahrensreglements gibt der Experte dem Gesuch statt, wenn die Registrierung oder Verwendung des Domain-Namens eine klare Verletzung eines Kennzeichenrechts darstellt, das der Gesuchstellerin nach dem Recht der Schweiz oder Liechtensteins zusteht.

Gemäss Paragraph 24(d) des Verfahrensreglements liegt eine klare Verletzung eines Kennzeichenrechts insbesondere dann vor, wenn

(i) sowohl der Bestand als auch die Verletzung des geltend gemachten Kennzeichenrechts sich klar aus dem Gesetzeswortlaut oder aus einer anerkannten Auslegung des Gesetzes und den vorgetragenen Tatsachen ergeben und durch die eingereichten Beweismittel nachgewiesen sind; und

(ii) der Gesuchsgegner keine relevanten Verteidigungsgründe schlüssig vorgetragen und bewiesen hat; und

(iii) die Rechtsverletzung, je nach dem im Gesuch erhobenen Rechtsbegehren, die Übertragung oder Löschung des Domain-Namens rechtfertigt.

A. Bestand von Kennzeichenrechten

Die Gesuchstellerin hat bewiesen, dass sie Inhaberin der Marken MIGROS und MTRAVEL (fig.) ist, wobei die Hinterlegungszeitpunkte der Marken deutlich vor dem Zeitpunkt der Registrierung des strittigen Domain-Namens datieren.

B. Klare Verletzung der Rechte der Gesuchstellerin

Das Bundesgericht hielt in einem Leitentscheid fest, dass Domain-Namen eine Kennzeichnungsfunktion aufweisen und gegenüber den absolut geschützten Kennzeichen Dritter den gebotenen Abstand einzuhalten haben, um Verwechslungen zu vermeiden (BGE 126 III 244). Eine Verwechslungsgefahr besteht, sobald es aufgrund der erwähnten Kriterien (Schriftbild, Wirkung, Sinngehalt) und aufgrund der Gleichartigkeit des Angebots an Dienstleistungen bei Benutzern des Internets zu Verwechslungen kommen kann. Dass Verwechslungen tatsächlich stattgefunden haben, ist nicht Voraussetzung (BGE 128 III 401 E. 5).

Ist ein Zeichen namens-, firmen- oder markenrechtlich geschützt, kann dessen Inhaber Unberechtigten die Verwendung dieses Zeichens als Domain-Namen verbieten, wenn die unbefugte Verwendung eine Verwechslungsgefahr schafft (BGE 4C.141/2002 in sic! 2003 438 ff.).

(i) Markenrecht

Art. 13 Abs. 1 MSchG verleiht der Markeninhaberin das ausschliessliche Recht, die Marke zur Kennzeichnung von Waren oder Dienstleistungen zu gebrauchen, für die sie beansprucht wird. Gemäss Art. 13 Abs. 2 MSchG kann die Markeninhaberin einem anderen den Gebrauch eines Zeichens untersagen, das die Rechte der Markeninhaberin verletzt, z.B. indem es mit einer älteren Marke für gleichartige Waren oder Dienstleistungen identisch oder verwechselbar ist (Art. 3 Abs. 1 lit. a bis c MSchG).

Die Gleichartigkeit i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. c MSchG der unter der Marke der Gesuchstellerin angebotenen Dienstleistungen mit solchen, die unter dem streitgegenständlichen Domain-Namen angeboten werden, scheint gegeben. Es liegen insbesondere Überschneidungen in der Veranstaltung von Reisen (Klasse 39) vor. Die Website des Gesuchsgegners unter dem streitigen Domain-Namen enthält gesponserte Links, die ihrerseits auf Websites von Dritten führen, die – wie die Gesuchstellerin – in der Reisebranche tätig sind.

Im Domain-Namen ist die Bezeichnung „migros“ vollständig enthalten, was eine integrale Übernahme der entsprechenden, durch die Gesuchstellerin registrierten, Marke MIGROS darstellt.

Ob zwei Zeichen verwechselbar sind, ist nicht aufgrund eines abstrakten Zeichenvergleichs, sondern stets vor dem Hintergrund des gesamten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Im vorliegenden Fall stellt das kennzeichnungskräftige Element klar die Bezeichnung „migros“ dar. Dem Zusatz „travel“ im Domain-Namen kommt im Zusammenhang mit den Reisedienstleistungen bloss beschreibenden Charakter zu, weil „Travel“ das (bekannte) englische Wort für „Reise“ bzw. „reisen“ ist. Somit ist die integrale Übernahme des Wortelements „migros“ im Domain-Namen des Gesuchsgegners geeignet, eine Verwechslungsgefahr mit der Marke MIGROS der Gesuchstellerin zu erzeugen und deren Kennzeichnungsfunktion zu schwächen.

Um eine Verwechslungsgefahr zwischen den unter der Marke MTRAVEL angebotenen und den unter dem streitigen Domain-Namen erhältlichen Dienstleistungen bejahen zu können, müsste bewiesen werden, dass dem Buchstaben „M“ genügende Individualisierungskraft für die Bezeichnung „migros“, resp. für die Gesuchstellerin zukommt. Die Frage kann, trotz des sehr hohen Bekanntheitsgrades der Detailhandelskette MIGROS und deren Abkürzung „M“ (bzw. „MM“ oder „MMM)“ offen bleiben, da sich die Verwechslungsgefahr bereits aus der Marke MIGROS ergibt.

(ii) Unlauterer Wettbewerb

Die Gesuchstellerin rügt ausserdem ein wettbewerbswidriges Verhalten des Gesuchsgegners in Verletzung von Art. 3 lit. d UWG. Domain-Namen unterstehen neben dem Kennzeichenrecht auch dem Lauterkeitsgebot des Wettbewerbsrechts (BGE 126 III 245). Nach Art. 3 lit. d UWG handelt unlauter, wer Massnahmen trifft, die geeignet sind, Verwechslungen mit den Waren, Werken, Leistungen oder dem Geschäftsbetrieb eines anderen herbeizuführen. Unter den wettbewerbsrechtlichen Kennzeichenschutz fallen sämtliche Verhaltensweisen, bei denen das Publikum durch die Schaffung von Verwechslungsgefahr irregeführt wird (BGE 126 III 239, 245).

Die Verwechslungsgefahr zwischen den unter der Marke MIGROS angebotenen, und den unter dem streitigen Domain-Namen erhältlichen, Dienstleistungen ist offensichtlich und wurde bereits erläutert. Es sind auch keine Gründe vorgetragen worden, oder ersichtlich, die auf einen zulässigen Gebrauch des Zeichen „migros” im Domain-Namen des Gesuchsgegners hindeuten würden. Vielmehr lassen die Umstände vermuten, dass der Gesuchsgegner beim Registrieren des Domain-Namens einen Vorteil aus der fremden Marke MIGROS ziehen wollte, indem er sie in den Domainnamen integrierte. Damit hat er Massnahmen getroffen, die geeignet sind, Verwechslungen mit den Waren und Dienstleistungen oder dem Geschäftsbetrieb der Gesuchstellerin herbeizuführen, was eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 lit. d UWG darstellt.

Der Gesuchsgegner hat keine relevanten und schlüssigen Verteidigungsgründe vorgetragen, noch sind solche ersichtlich. Ferner rechtfertigt die Rechtsverletzung die beantragte Übertragung des Domain-Namens <migrostravel.ch> auf die Gesuchstellerin.

Die klare Verletzung der Kennzeichenrechte der Gesuchstellerin durch den streitigen Domain-Namen ist somit zu bejahen.

7. Entscheidung

Aus den vorstehend genannten Gründen entscheidet der Experte, dass der Domain-Name <migrostravel.ch> gemäss Paragraph 24 des Verfahrensreglements an die Gesuchstellerin zu übertragen ist.

Dr. Bernhard F. Meyer
Experte
Datum: 15. September 2010